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Selbstbeherrschung bei der Pflege Angehöriger – Interview Werner Tigges

Im Interview mit Dr. Christian Holsing von 24h-Pflege-Check.de weist Dipl.-Sozialpädagoge Werner Tigges auf die außergewöhnliche Belastung bei der Pflege von Angehörigen hin, die schnell an die Grenzen der körperlichen und psychischen Belastbarkeit führen können. Insbesondere dann, wenn pflegende Angehörige kurz vor der mentalen Explosion stehen, rät der auch als Gestalttherapeut und Medienpädagoge etablierte Werner Tigges zum bewussten Durchatmen und vermittelt Tipps und Tricks, wie mit solchen Extremsituationen umgegangen werden kann.

CH: Herr Tigges, welche Erfahrungen haben Sie mit der Belastbarkeit von pflegenden Angehörigen gemacht?

WT: Häufig ist es so, dass Kinder oder Enkel quasi gleitend zu pflegenden Angehörigen werden. Im Familienverbund passen sie sich dem Alltag an und wenn Mutter oder Vater körperlich oder geistig nachlassen, wird ihre Hilfe und Unterstützung zur reinen Selbstverständlichkeit. Dass sie ihr Familienmitglied wirklich pflegen und betreuen, wird ihnen erst bei Verschlechterung des Gesundheitszustandes wirklich bewusst. Dann auch zeigt sich die Belastbarkeit von pflegenden Angehörigen, die – wie immer, wenn Menschen aufeinander treffen – individuell beurteilt werden muss.

CH: Was macht die Pflege eines Angehörigen für Familienmitglieder Ihrer Meinung nach so belastend?

WT: Auch hierbei kommt auf die Art und den Umfang der Pflegebedürftigkeit und das individuelle Verhältnis zwischen Angehörigem und Pflegebedürftigem an. Vor den schwersten Aufgaben stehen nach meiner Erfahrung Familien, die es mit 24 Stunden Pflege Demenz zu tun bekommen. Dann nämlich, wenn sich Elternteile geistig zurück entwickeln, in ihrer eigenen virtuellen Welt gefangen sind, ihre Kinder nicht mehr erkennen oder pflegerische Maßnahmen zur allgemeinen Körperhygiene erforderlich werden, wird es selbst für engagierte Kinder besonders schwer. Plötzlich sind sie es, die statt des Vaters oder der Mutter das Sagen haben und der langjährige Glaube an das Vorbild bröckelt.

CH: Was geschieht, wenn pflegende Angehörige sich an der Grenze ihrer Belastbarkeit befinden? Suchen sie Hilfe?

WT: Ja, im Idealfall suchen sie sich fachkundige Hilfe bei Psychologen oder Instituten, die pflegende Angehörige professionell unterstützen. Leider kommt es in der Praxis auch zu Negativfällen, bei denen die natürliche Hemmschwelle überschritten wurde und Angehörige die Selbstbeherrschung verloren haben.

Es ist für Menschen noch nie leicht gewesen, sich ein Scheitern einzugestehen. Dies gilt umso mehr, wenn man sich als Tochter oder Sohn seinem alternden und kranken Familienmitglied verpflichtet fühlt. Dieser Druck, funktionieren zu müssen, belastet die Angehörigen zusätzlich und trägt dazu bei, dass sich viele pflegende Angehörige auch einfach selbst überschätzen.

CH: Und was raten Sie pflegenden Angehörigen, um sich selbst zu kontrollieren und eine Eskalation zu verhindern?

WT: Ich rate pflegenden Angehörigen immer zu einer guten Portion Abstand. Oft reicht es schon aus, für ein paar Minuten den Raum zu verlassen und in Ruhe durchzuatmen. Dies geht natürlich nur dann, wenn ein anderer Angehöriger kurzzeitig einspringen kann. Bei brenzligen Situationen hilft es auch, laut und langsam bis zehn zu zählen oder ein Glas Wasser zu trinken. Examiniertes Pflegepersonal nutzt sogar häufig einen selbst beruhigenden Satz oder Spruch, der in Extremsituationen mehrmals hintereinander aufgesagt wird, dessen Wirkung sich Familienangehörige auch zunutze machen können.

CH: Also sollen sich pflegende Angehörige in solchen Situationen kurz ablenken?

WT: Ja und nein; die Angehörigen sollen sich durch diese Maßnahmen wieder besinnen und koordinieren. Es geht hierbei um das eigene Bewusstsein und die eigene Wahrnehmung. Eine kurze Ablenkung auf die bewusste Wahrnehmung kann dabei helfen, den Stresspegel zu senken. Sich interessiert ein Muster auf der Tapete anzusehen oder Geräuschen von der Straße zu lauschen bringt das aufgebrachte Gemüt wieder ein Stückchen weit runter. Gleiches gilt übrigens für Bewegung, die wahre Wunder bei Frust vollbringen kann.

CH: Und wenn nichts davon hilft?

WT: Dann sollten sich Angehörige unverzüglich Hilfe suchen. In der Not kann die Telefonseelsorge ein geeigneter Ansprechpartner sein. Aber auch professionelle Kurse für pflegende Angehörige kommen infrage, die Krisenmanagement beinhalten.

Ganz wichtig ist jedoch die Frage, die sich pflegende Angehörige grundlegend stellen sollten: Kann und vor allem will ich meinen Vater oder meine Mutter eigentlich pflegen? Es ist sinnvoll, das Pro und Contra der Pflege durch einen Angehörigen detailliert abzuwägen. Ein schlechtes Gewissen sollte bei diesen Überlegungen gänzlich außen vor bleiben, da wir schließlich alle nur Menschen sind. Selbst bei einer optimalen Vorbereitung durch Pflegekurse kann wegen des besonderen Verhältnisses zu Familienangehörigen nie gewährleistet werden, dass die Nerven nicht doch mit einem durchgehen. Manchmal ist es eben doch besser, die Pflege in fremde und fachkundige Hände durch Außenstehende zu geben, was letztendlich auch dem Familienleben und -frieden dient.

CH: Und damit sind wir bei der Problematik der Abschiebung, oder was meinen Sie damit?

WT: Nein, selbst mit der Pflege eines Familienangehörigen überfordert zu sein, bedeutet heute doch längst keine Abschiebung in ein Alters- oder Pflegeheim mehr. Es gibt Gott sei Dank so viele Möglichkeiten der Pflege und Betreuung, die auch den immerzu geäußerten Wünschen von Senioren nach einem Altern in den eigenen vier Wänden gerecht werden.

Ich denke da eher an mobile Pflegedienste, sofern der Pflegebedürftige noch in Teilen selbstständig ist. Bei der Notwendigkeit einer dauerhaften Betreuung halte ich die 24h Betreuung, wie sie auch die von mir mitgegründete CareWork anbietet, für eine gute Alternative. Bei dieser Form der Betreuung lebt die Betreuerin im Haushalt des Pflegebedürftigen, sodass bei vielen Erkrankungen und Krankheitsgraden eine stationäre Unterbringung umgangen werden kann.

CH: Und wo können sich Interessenten näher über die 24-Stunden-Betreuung informieren?

WT: Die CareWork hat auf ihrem Webportal www.24stundenbetreut.com alle wichtigen Informationen zusammengetragen. Dort kann auch weiteres Informationsmaterial oder ein individuelles Angebot angefordert werden. Für weitere Fragen steht das CareWork-Team unter der Rufnummer 08000 – 180 100 stets zur Verfügung. Ansonsten gibt es die Möglichkeit, beim Bundesverband Informationen zu erhalten sowie natürlich auch bei Ihrem Portal als Anlaufstelle zur 24 Stunden Pflege.

CH: Wir hoffen, pflegenden Angehörigen mit ihren Tipps & Tricks etwas weiterhelfen zu können und danken Ihnen herzlich für das Interview.

WT: Danke, das hoffe ich auch!

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